Der Preis, den wir bezahlten für die lang andauernde Busfahrt von Bangkok nach Ko Lanta, dachte ich mir.
Über zwanzig Stunden sind wir bisher unterwegs gewesen und eigentlich auf dem Weg nach Kuala Lumpur. Einen günstigen Flug von Bangkok nach Kuala Lumpur hatten wir nicht mehr ergattern können und selbst die Züge waren bis aufs Weitere ausgebucht. Ein Zeichen der bevorstehenden Katastrophe.
240 Menschenleben hatten die Überschwemmungen im Norden Bangkoks bereits gefordert. Die Nachrichten berichteten kaum noch über etwas anderes und die Menschen in der Hauptstadt Thailands stapelten bereits hunderte von Sandsäcken vor ihren Läden auf.
Jeden Tag konnte es nun soweit sein. Die Dämme würden brechen und eine Flutkatastrophe wäre unausweichlich.
„Wir müssen hier raus. Schnell!“, sagte Anne entschlossen, als sie erneut einige Bilder im Fernsehen erhaschte. Anne hatte natürlich Recht. Es machte keinen Sinn noch länger dort zu verweilen und auf das Beste zu hoffen. Wir wollten eh nach Malaysia weitereisen und das Risiko, in Bangkok für Tage oder gar Wochen festzusitzen, war einfach zu groß.
So folgte eins aufs andere. Wir buchten unser Busticket und waren zwei Tage später auf dem Weg Richtung Süden.Auf Ko Lanta, einer Touristeninsel im Süden Thailands planten wir einen Zwischenstop, denn mehr als 24 Stunden Busfahrt wollten wir einfach nicht am Stück auf uns nehmen.
Die beiden Masseusen machten sich an die Arbeit, wobei Anne und ich relaxt auf den Matratzen lagen und diese Horror Busfahrt Revue passieren ließen. Sechs mal umsteigen, drei Mal davon in einem Ort und engere Sitzzwischenräume als bei Lufthansa. Es war einfach zu viel. Dass ein Pärchen während der Nacht im ersten Bus noch um einhundert Euro erleichtert wurde, höchstwahrscheinlich sogar vom eigenen Buspersonal, machte die Erinnerung nicht besser.
Aber die beiden freundlichen Damen taten ihr bestes und kneteten unsere dicken Füße schließlich wieder in den Normalzustand zurück.Das Zimmer in der Hotelanlage war in Ordnung. Nur 10 Euro die Nacht und sauber. So hatten wir uns die kurze Pause vorgestellt.
Wir erkundeten so gut es ging die Insel, bereiteten uns jedoch hauptsächlich auf Malaysia vor. Wir recherchierten dabei einzelne Orte oder surften dazu im Internet. So verstrich die Zeit.
Am Tag vor unserer Weiterfahrt erschlug eine Frau im Nachbarhaus eine Kobra mit ihrem Knüppel und ihr Sohn ließ es sich nicht nehmen, seinen Gesundheitszustand zu verbessern, indem er das Kobrablut in eine Flasche füllte, es mit Kräutern und etwas Thaiwhisky mischte, um es schließlich aus Schnapsgläsern zu trinken.
Auch ich wurde dazu eingeladen, was ich mir auf keinen Fall entgehen lassen wollte.
Ich kippte die dickflüssige, rote Masse hinunter und wartete danach angestrengt und konzentriert auf die ultimative Kraft, die, wie von ihm versprochen, meinen Körper durchfließen würde. Aber nichts geschah. Ich fühlte keine Kraft ja nicht einmal ein Muskelzucken. Eigentlich fühlte ich gar nichts und das kontinuierliche Aufstoßen des Blut– Kräutergeschmacks verging erst nächsten Tag.Kuala Lumpur erreichten wir früh am morgen. Die Busfahrt verlief gut, denn wir hatten sehr bequeme Sitze mit ausreichender Beinfreiheit. So wie man es eigentlich von den Bussen in Asien gewohnt war.
Auch die Leute im Bus und an der Grenze waren überaus freundlich gewesen. Somit begann unser erster Tag in Malaysia blendend.
Die Suche nach einer annehmbaren Unterkunft dauerte zwar etwas länger als üblich, da doch sehr viele Hostels bis auf das letzte Zimmer ausgebucht waren, aber wir fanden eine Bleibe.
Sauber, mit eigenen Bad und sogar Internet auf dem Zimmer, besser ging es nicht.
Wir waren guten Mutes und bereit die Stadt zu erkunden. Wir entschieden uns beide für eine Wanderung durch „Chinatown“, und zwar genauso, wie es unser Reiseführer vorschlug. Einfacher geht es nicht, dachten wir.
Die Route steht fest, ist somit in einer übersichtlichen Karte des Buches festgehalten und die einzelnen Sehenswürdigkeiten sind bestens beschrieben. Also wozu sich einen Tourunternehmen anschließen, wenn man das ganze auch umsonst haben kann.
So machten wir uns auf. Ich bewaffnet mit dem Fotoapparat und Anne mit dem Stadtplan.
Sie hatte die „Chinatown-Wanderung“ aus dem Reiseführer in die Karte übertragen, damit es leichter zu überblicken war. Eine gute Idee.
Kuala Lumpur ist eine fantastische Stadt. Soviel Grün war in einer Grosstadt Asiens wirklich sehr selten zu sehen. Die Strassen erschienen uns sehr sauber und geordnet und die Masse an Wolkenkratzern war für uns Kleinstädter anfangs einfach überwältigend.
Wo man auch hinsah, die Hochhäuser ragen aus dem Boden wie Bäume im Wald. Grosstadtdschungel pur und die Menge an Baustellen lassen einen die Zukunft dieser Metropole nur erahnen.Wir gingen zum Ausgangspunkt unserer Stadtwanderung und Anne führte mich ab sofort durch die belebten und teilweise engen Strassen des chinesischen Stadtviertels.
Ein enormer Kontrast zu den modernen Bauten Kuala Lumpurs, wie uns auffiel. Anne erzählte mir von den angepriesenen Bauten und Plätzen, genauso wie es im Buche stand und sie kam mir vor, wie eine professionelle Stadtführerin.
Sie las die einzelnen Passagen, deutete mir die Richtung und ich knipste was das Zeug hielt.
„Also dieses bemalte Lädchen da stammt aus dem Jahre 1906“, erklärte Anne, wobei sie mit den Augen im Buch klebte und mir nur mit der rechten Hand die Richtung wies. „Aha“, erwiderte ich. Knips!
„Da drüben ist dann die Turmuhr aus dem Jahr 1937.“, zeigte sie weiter ohne ihren Blick aus dem Buch zu nehmen. „Aha…du Annemaus, ich glaub’ die haben sie schon abgerissen.“ „Jaja kann sein, die war ja auch schon alt!“, meinte Anne.
„Da hinten ist dann der alte Marktplatz.“ „Aha.“ Knips!
So zog sich unser Rundgang eine ganze Weile hin. Anne immer noch koordinierend und pflichtbewusst unterrichtend und ich zuhörend, bereit die Geschichte Kuala Lumpurs in mich aufzusaugen.Ich kann nicht genau sagen wie, wann oder wo es passierte, aber eines weiß ich: Anne war bei der Übertragung des Rundgangs aus dem Reiseführer in die Karte um genau eine Strasse verrutscht und führte mich folglich seit über einer Stunde buchstäblich eine Strasse parallel zu der vorgeschriebenen Route entlang und erzählte mir die Baujahre, ja sogar die Hintergründe zu den einzelnen Bauwerken, obwohl diese gar nicht da waren.
Viele Details der Gebäude, welche Anne mir ausführlich schilderte, waren ohne Zweifel unglaubwürdig, ich dachte mir jedoch die Bauten wären schon abgerissen oder bereits restauriert.
Stutzig wurde ich dann aber, als Anne mir von dem im Art Deco Baustil errichtetem OCBC Haus aus dem Jahre 1938 erzählte und dabei auf eine Bushaltestelle deutete.
Das war dann zuviel des Guten.Wir haben dann den kompletten Rundgang noch einmal vollzogen.
Dieses Mal aber ohne Annes Stadtplan.Es wird halt nicht langweilig mit meiner Annemaus.Am nächsten Tag haben wir dann mit unseren Aufnahmen begonnen und hofften insgeheim sehr, dass wir auf Borneo nicht mit einer falschen Karte unterwegs sein werden.
Denn diese große Insel war unser eigentliches Ziel!
„Lauf, lauf, lauf…“, schrie Anne mir zu. Ich war kurz stehen geblieben, um dieses Spektakel mit der Kamera festzuhalten, was in dieser Situation wahrscheinlich keine gute Idee gewesen ist. Dennoch mussten wir die Abreise aus Kuala Lumpur irgendwie festhalten, dachte ich. Aber die Zeit war einfach zu knapp.
„Das schaffen wir eh nicht mehr.“, gab ich zurück, was Anne jedoch nur mit einem Kopfschütteln bewertete.
Wir erreichten die Schwebebahn, besser gesagt die Magnetschwebebahn, rannten hoch zur Plattform und blickten unserer Bahn nur noch hinterher.
„So ein Mist.“, sagte ich. „Den Flug schaffen wir nicht.“
„Doch, die nächste muss gleich kommen.“, sagte Anne. „Hoffentlich!“
Sie hatte Recht.
Wenige Minuten später standen wir bereits im klimagekühlten Abteil einer Schwebebahn und rechneten unsere Chancen, den Flug doch noch zu erwischen, aus. Es war noch möglich, vorausgesetzt, wir fanden den Weg zur nächsten Station. Wir mussten nämlich noch einmal umsteigen, wussten aber noch nicht genau, wohin wir gehen sollten.
Anne hatte wieder einen Stadtplan in ihrer Hand und blickte konzentriert darauf. Sie wollte anscheinend einen Weg berechnen, um uns das Umsteigen zu erleichtern.
Sie grübelte und ich bekam Angst, denn diesen Blick kannte ich nur zu gut. Um es genau zu sagen, hatte ich ihn bekanntlich vor nicht allzu wenigen Tagen das letzte Mal gesehen.
„Ich gehe gleich jemanden fragen, wenn wir da sind.“, sagte ich, um Anne von ihrem Plan abzubringen. „Ne, brauchst nicht. Ich glaub ich weiß wo wir lang müssen.“, gab sie zurück. Ich würde es trotzdem tun, entschied ich.
Wir hatten dieses ganze Schlamassel einer jungen Frau vom Fahrkartenschalter der Schwebebahn zu verdanken. Wir waren am Abend zuvor dort gewesen, um nach dem richtigen Weg zu fragen. Sie verwechselte jedoch unseren LCCT Flughafen mit der KLCC Bahnstation im Zentrum Kuala Lumpurs, wie wir später bemerkten, und lotste uns somit in die genau entgegengesetzte Richtung.
Am frühen Morgen teilte uns ein anderer Fahrkartenverkäufer dann den tatsächlichen Weg zum Flughafen mit.
„Das gibt’s doch nicht.“, stöhnte Anne laut und erklärte mir erst einmal, was genau hier ablief.
„Bunki schau mal.“ Sie hielt mir ihren Stadtplan hin. „Die Frau dachte wir wollen hier hin.“ Anne tippte in der Karte auf die KLCC Bahnstation. „Das dauert 15 Minuten, von uns aus. Wir müssen aber dort hin.“, erklärte sie mir aufgebracht und fuhr mit dem Finger an den äußeren Bildrand. „Und das dauert 1,5 Stunden.“ „Was? Eineinhalb Stunden?“
So kam es, dass wir im Endeffekt wie zwei Wahnsinnige mit fünf Gepäckstücken durch die langsam immer mehr belebten Straßen Kuala Lumpurs rannten.
Ich schrie nur „Airport? Which way, please?“ zu dem Bahnangestellten hinter der Glasscheibe. Er machte eine Geste, die erst nach unten, dann nach rechts und dann weiter nach links führte. „Okay, thanks.“, nickte ich ihm im Laufen zu.
„Anne komm, los.“, schrie ich.
Anne aber stand erst einmal da und überprüfte das eben Gehörte auf ihrem Stadtplan. Sie fuhr dabei wieder konzentriert mit ihrem Finger über die kleinen Gassen und Wege und nickte gelegentlich. Ich glaubte nicht, was ich da sah. Anne war wirklich noch in diesem Moment der Meinung, dass sie besser mit ihrer Karte bescheid wüsste, als ein Mann, der wahrscheinlich schon seit zwanzig Jahren hier arbeitet.
„Anne komm.“, sagte ich erneut. Sie kam.
Wir rannten erst die Treppe herunter, dann liefen wir circa zweihundert Meter nach rechts und bogen dann links ab, um wiederum einen langen Tunnel zu durchqueren. „Das kann nicht richtig sein.“, vermutete Anne. Am liebsten hätte sie bestimmt einen Blick auf ihren Stadtplan geworfen, dachte ich, sie rannte aber keuchend weiter.
Doch dann sahen wir Licht. Welche Ironie, am Ende des Tunnels war das Licht und da stand ein Bus mit dem Schild „Airport“ im Fenster. Wir schmissen unser Gepäck in den Laderaum, bezahlten die Tickets und setzten uns auf zwei getrennte Sitze. Der Bus war schon voll, aber das störte uns nicht mehr. Wir waren ein Stück weiter.
Also erreichten wir Kuching auf Borneo letztendlich doch und waren froh über den leichten Regen bei der Ankunft. Denn dieser bedeutete endlich etwas Abkühlung.
Es war beunruhigend und ich hatte keine Ahnung warum, aber die Frau im Laden schaute mich an, als sei ich ein entlaufener Irrer. Ich wusste nicht mehr, wo ich hinschauen sollte, so fragwürdig blickte mir die Frau in die Augen. Dabei hatte ich ihr doch nur eine simple Frage gestellt.
Wir standen gerade in einem kleinen Laden, wo wir uns mit Obst und Wasser eindecken konnten, denn wir wollten in Kuching nicht viel Zeit verstreichen lassen und planten bereits für den nächsten Tag einen Trip zu einer Orang Utan Auffangstation.
Es gibt auf der ganzen Welt nur vier davon und zwei befinden sich auf Borneo und wiederum eine davon in der Nähe von Kuching.
Und für diesen Trip brauchten wir nur noch etwas zu Essen.
„Du Anne, ich brauch aber noch was Deftiges, nicht nur Obst. Irgendetwas mit Fleisch, weißt Du.“ Anne wusste.
„Ja, ich kenn dich doch, aber die haben hier nichts anderes.“
Ich erinnerte mich daran, vor kurzem gerade wieder diese schmackhaften Hefeklöße mit Füllung gesehen zu haben, wusste allerdings nicht mehr so genau wo. Ich machte mich also daran, der netten Frau zu erklären, wonach ich suchte. Das Problem war nur, mir fiel beim besten Willen nicht mehr ein, was Hefekloß auf Englisch hieß. Wir kannten sie nur unter dem Namen „Dumplings“. Ich versuchte es anders.
„You know, it’s white “food” with stuff inside, like chicken or beef, Dumplings you know?“ (Übersetzt: Wissen Sie, es ist so ein weißes Essen mit Hähnchen- oder Rindfleischfüllung. Dumplings wissen sie?)
Sie hatte keine Ahnung was ich meinte, schaute mich aber an als sei ich bekloppt. Sie holte daraufhin ihre Ladennachbarin zur Hilfe. Ich wurde aufgefordert es auch ihr zu erklären.
„You know, white food with yammi stuff inside.“
Die beiden begannen zu tuscheln, lachten leise und nun blickte mich auch ihre Nachbarin an, als wäre ich beschränkt. Ich verstand die Welt nicht mehr. Diese schmackhaften Dumplings gab es doch ziemlich oft, dachte ich. Anne war genauso überfragt, wie ich es ihr ansah.
Jetzt lief die Nachbarin los um eine weiter Frau zu holen.
„Die machen sich hier einen Spaß aus uns.“, nuschelte ich Anne zu. „Ja, ich glaub auch. Lass mal los“, antwortete Anne, als gerade die dritte Frau in den Laden kam.
Sie sprach perfektes Englisch, wie wir bemerkten und ich wurde mit einem Kopfnicken dazu aufgefordert es erneut zu erklären.
„Oh man…“, hauchte ich noch. Ich hatte schon gar keinen Hunger mehr auf diese Dinger, sagte es ihr aber dennoch.
Die Frau verstand mich, zu meiner Ueberraschung, blendend und wusste auf Anhieb was ich finden wollte.
Sie übersetzte es erst einmal den beiden anderen. Die zwei Verkäuferinnen schlugen sich darauf mit ihren Händen an die Stirn, nickten mir lachend zu und sogar ihre Blicke änderten sich von: „oh Mann bist du behämmert“, zu: „du weißt ja was du willst“.
Dieses gesamte Missverständnis basierte auf einem winzigen Verständigungsproblem. Ich sagte „food“ und die nette Dame verstand „fruit“ (Obst). Sie dachte also fortweg ich suche nach einer Frucht mit Hähnchenfleischfüllung, oder Rindfleisch.
Mein Ruf war folglich wiederhergestellt und ich bekam sogar noch meine leckeren „Pau’s“, so, wie sie hier genannt werden.
Am nächsten Morgen machten wir uns also auf, mit all dem Obst und den Pau’s zur Semenggoh Wildlife Station, eine der beiden Rehabilitierungszentren hier auf Borneo.
Dort werden Orang Utan Waisen Schritt für Schritt in die freie Wildbahn eingegliedert. Es werden dazu Plattformen benutzt, an welchen die Tiere täglich ihr Essen bekommen, sich ansonsten aber frei im umgebenen Dschungel bewegen können.
Fernerhin werden ihnen von den Mitarbeitern des „Wildlife Centers“ von klein auf wichtige Verhaltensregeln zum Überleben beigebracht, welche sie, wegen des Verlustes der Mutter, eigenständig nicht erlernen könnten und was letztendlich zum Tod des Tieres führen würde.
Diese Projekte sind zweifellos wichtig und haben schon so einige Primaten in die verbliebenen Wälder Borneos zurückgebracht.
Für uns verging die Zeit dann leider viel zu schnell. Wir machten unsere Aufnahmen und versuchten jeden Moment zu genießen, denn diese Primaten haben ohne Zweifel etwas magisches an sich.
Wir werden auch diesen Besuch niemals vergessen.
Anne hatte recht, aber mir war dennoch nicht wohl bei der Sache.
„Meinst du, er erlaubt es?“, wollte ich wissen.
„Keine Ahnung, aber vielleicht haben wir ja Glück.“
Wir waren fast da und Anne und ich waren sichtlich nervös. Immerhin standen wir kurz davor einen leibhaftigen Anführer einer Iban Gruppe aufzusuchen.
Die Iban sind eine Minderheit Borneos und zählen zur Gruppe der Dayak Völker. Sie leben in so genannten Langhäusern, wobei sich diese Tradition immer weiter zurückzieht.
Die größte Anzahl der Iban findet man hier auf Borneo in dem Bundesstaat Sarawak, wo sie beinahe 700.000 Mitglieder zählen.
Bekannt waren die Iban jedoch für ihre Kopfjagd, denn das Sammeln feindlicher Schädel gab ihnen angeblich magische Kräfte und sorgte gleichzeitig zur Demoralisierung ihrer Feinde. Und Kannibalismus war ebenfalls unter dieser Gruppe bekannt.
Auch wenn diese Rituale heute nicht mehr praktiziert werden, hatten Anne und ich großen Respekt vor diesen Menschen und fühlten uns gar geehrt in diesem Langhaus zu sein.
Doch vorerst mussten wir das Oberhaupt aufsuchen. Vor allem weil wir vorhatten dort zu filmen und zu fotografieren.
Victor hatte dieses Treffen organisiert. Wir hatten ihn und seine Frau Angel, so ihr Spitzname, in Kuching kennengelernt. Die beiden betreiben dort ein kleines Restaurant in der Innenstadt, sind aber eigentlich schon pensioniert.
Es war ihnen daheim zu langweilig, wie sie uns eines Abends, wir saßen gerade bei ihnen und aßen ihren köstlichen Lammeintopf, erzählten, und somit hatten sie ihr Unternehmen gegründet. Das Essen ist jedenfalls sehr gut und folglich sind auch die wenigen Tische immer besetzt.
Am besagten Abend kamen wir also ins Gespräch, als Victor bemerkte, dass Anne und ich ziemlich frustriert daherschauten.
„What’s the problem, you two?”, fragte er uns, wodurch wir beide aus unserer Melancholie gerissen wurden.
Wir erzählten Victor von unserem Vorhaben, einmal ein Iban Langhaus zu besuchen und auch, dass man dafür eine Tour bei einem Anbieter buchen muss. Diese aber seien sehr teuer und überstiegen so ziemlich unser Budget.
Dennoch wäre es unsere einzige Chance, wie wir wussten, einmal einen kleinen Einblick in diese faszinierende Iban Kultur zu bekommen, erklärten wir ihm weiter.
„Wir suchen gerade den günstigsten Anbieter heraus.“, sagte Anne zu Victor, während sie ihren Stapel Broschüren sämtlicher Anbieter durchwühlte.
Victor erzählte uns von den Iban und ihren Langhäusern:
„Sie können bis zu mehreren hundert Metern lang sein, wisst ihr, und sie bestehen aus vielen separaten Räumen, in welchen dann jeweils eine Familie wohnt. So leben manchmal bis zu 50 Familien unter einem Dach.
Ein Langhaus bildet demnach eine Gemeinschaft was wahrscheinlich einem ganzen Dorf oder einem Stamm nahekommt.
Aber um das wirkliche Leben in einem Langhaus zu erfahren, sollte man keine Tour mitmachen, sondern eher ein Langhaus besuchen, welches nicht für den Tourismus offen steht.“, sagte er schließlich.
„Aber zu solch einem Haus kommt man nicht, denn dazu braucht man Freunde oder Verwandte.“
„Ah, okay. Good to know.“, stellte Anne fest.
Na das war gut zu wissen. Nach dieser Aussage fühlten wir uns besser und hatten noch mehr Zweifel eine dieser Touren zu buchen.
„Ja, man braucht Freunde um ein wirkliches Langhaus zu besuchen.“, sagte Victor erneut.
Anne und ich blickten uns an und Victor fuhr fort.
„Meine Frau ist Iban.“ „Oh, wirklich.“, sagte ich. „Ja, und wir sind dieses Wochenende von ihrer Familie zu einer Hochzeit weiter oben im Norden eingeladen.“ „Wie gut für euch.“, erwiderte ich.
„Ja, aber wir werden wohl nicht hinfahren.“, gab er betrübt zu. „Och, wie schade für euch.“, sagte ich und blickte demütig auf die Broschüren in Annes Hand. Auch Anne schaute nach unten.
Victor aber sprach weiter, während seine Frau weiterhin Essen zubereitete. „Man braucht halt Freunde, die einen mitnehmen.“
Er hörte einfach nicht auf. Wollte er uns quälen? Wir haben nun mal niemanden, der uns mitnehmen könnte, wollte ich gerade sagen, da fragte Victor plötzlich: „Wenn ihr wollt, könntet ihr ja vielleicht mitkommen.“
„Was, wie bitte? Wir…mitkommen? Zu dem Langhaus? Zu den Ibans?’, redeten wir durcheinander.
„Ich müsste vorher natürlich nochmal nachfragen, aber im Grossen und Ganzen gäbe es da kein Problem.“, sagte Victor.
„Oh mein Gott.“, freute sich Anne und ich saß nur da und grinste.
So kam es, dass wir bereits zwei Tage später das Langhaus von Angels Familie betraten. Ein aufregendes Gefühl, denn die musternden Blicke der Anwesenden sprachen Bände.
Wir waren zwar bereits von Victor und Angel bei den Familienmitgliedern telefonisch angemeldet worden, aber anscheinend schien diese Nachricht noch nicht zu allen vorgedrungen zu sein. Sie betrachteten uns, als hätten sie noch nie zuvor einen weißen Menschen gesehen. Dem war natürlich nicht so, dennoch wurde uns nur allzu bewusst, dass unsere Anwesenheit keines Falls selbstverständlich gewesen ist.
Aber wir waren da, bei einer Hochzeit in einem Iban Langhaus.
Wir wurden sogleich von vielen Familienmitgliedern Angels begrüßt. Sie waren allesamt freundlich und ein jeder hatte ein einnehmendes Lächeln für uns übrig. Wir fühlten uns wohl, doch der Gedanke, uns noch bei dem Oberhaupt des Hauses anzumelden, flösste uns etwas Unbehagen ein.
Es wäre einfach zu schön, wenn wir dieses Spektakel mit der Kamera festhalten könnten. Deshalb sprangen meine Gedanken förmlich hin und her und ich stellte mir vor, wie wir mit dem Häuptling, er mit einer Haube aus Adlerfedern auf dem Kopf und freiem Oberkörper, in einer kleinen Runde auf dem Fußboden saßen und gemeinsam eine Pfeife rauchten während wir auf seine Einwilligung zu warteten. Er würde schließlich seine Hand heben und uns mit einem tief dröhnenden „Hau“ sein Jawort geben, so hoffte ich jedenfalls.
Victor öffnete dann die Tür und wir traten ein. Der Raum war alles andere, als ich mir vorgestellt hatte. Da waren keine selbstgebauten Bambusmöbel und Strohmatratzen. Da standen auch keine Blasrohre mit den Giftfeilen in der Ecke, auch hingen keine eroberten Schädel von der Zimmerdecke herab. Ganz im Gegenteil.
Was habe ich denn bloss gedacht, fragte ich mich.
Wir befinden uns im einundzwanzigsten Jahrhundert. Natürlich jagen die Leute nicht mehr den ganzen Tag durch den Dschungel und sammeln auch keine Touristenköpfe als Trophäen. Auch sitzt der Häuptling nicht mit einer Federnhaube auf dem Kopf auf dem Boden, mit einer Pfeife in der Hand.
Er saß auf der Dreiercouch und lächelte uns freundlich entgegen. Er trug eine Anzughose und ein blaues Hemd. Es ähnelte einem Hawaihemd, ließ ihn aber dennoch modern erscheinen.
In der Ecke des Zimmers standen ein Fernseher und ein Computer, welche ich mit einem Schmunzeln betrachtete, und die Wände waren mit verschiedensten Fotos behangen. Vermutlich Familienangehörige, dachte ich.
Wir gingen zur Couch und Victor begann mit ihm zu reden. Anne und ich verstanden dabei kein einziges Wort. Wir sahen lediglich ein vereinzeltes Kopfnicken des Chiefs, wobei er meist zu uns herüber blickte.
Einen Moment später war die Unterhaltung der beiden bereits vorüber und wir hatten die Erlaubnis. Es ging alles so schnell.
Wir bedankten uns aufrichtig, was Victor für uns übersetzte, und ich sprang sofort auf, griff zum Stativ und der Kamera, um wenigstens noch ein paar Sekunden von dieser Unterhaltung aufzuzeichnen.
Dann begann der Abend.
Am Anfang verlief die Hochzeit eher langweilig. Das Paar nahm auf einem Sofa Platz und mehrere Personen hielten eine Rede. Sie mussten vorab einen Schnaps trinken, erst dann durfte gesprochen werden.
Alle anderen saßen zum größten Teil auf dem Fußboden.
Dann wurden die Regeln des Abends vorgelesen. Es handelte sich dabei auch um Strafen, welche man zu erwarten hatte, wenn man entweder eine Schlägerei beginnen, Pöbeleien anstimmen oder gar eine der vielen Frauen im Langhaus belästigen würde. Meist handelte es sich um Geldstrafen, wie mir von einem Jungen übersetzt wurde.
Na das war beruhigend zu wissen. Wenn mich also jemand zusammen schlagen oder gar versuchen würde meinen Kopf als Trophäe zu sammeln, müsste er zumindest Geld an das Langhaus bezahlen, dachte ich.
Aber das war natürlich ein Hirngespinst, denn von solchen Aggressionen war kein bisschen zu spüren. Alle Menschen waren überaus freundlich und lächelten einander zu. Musik spielte, die Leute aßen typische Iban Gerichte, zu welchen auch wir eingeladen wurden und so nach und nach kamen dann die Getränke.
Eigentlich eine Feier, wie bei uns daheim.
Etwas später konnte man jedoch erkennen, warum es diese Regeln gab. Die Leute wurden gelöster und Anne und ich wurden nun im Zweiminutentakt zu einem Whiskey eingeladen.
Wir, als Ausländer, waren offensichtlich gefragt und ein jeder wollte wenigstens einmal mit uns anstoßen. Wir fühlten uns sehr geehrt, bekamen aber Angst, denn es rannten so circa zweihundert Leute durch die Halle.
„Oh mein Gott…“, schnaubte Anne nach ihrem dritten Schnaps, „…wenn wir mit allen einen trinken müssen, müssen bestimmt „wir“ noch Strafe zahlen.“ Das war nicht abwegig, dachte ich. Auch um die Kamera sollten wir uns dann Sorgen machen.
Doch dann kam Victor zu unserer Rettung.
Wir schütteten gerade den fünften Drink herunter, als Victor das Zeichen zum Rückzug gab. So verabschiedeten wir uns von unseren Trinkpartnern, Anne schon etwas lallend, und gingen in unser Quartier.
Es war ein überwältigendes Erlebnis. Wir waren tatsächlich in einem Iban Langhaus zu Besuch. Jedoch nicht als Touristen, sondern als Gäste. Und genau so hatten wir es uns erhofft.
Vielen Dank an alle Iban.
Es hatte sich mittlerweile eine kleine Traube von Menschen um mich herum gebildet, als ich mir diese fetten Würmer habe in einer Tüte einpacken lassen. Die Aufmerksamkeit wunderte mich etwas, denn ich hatte geglaubt, dass diese Sago Larven hier in Malaysia zur Tagesordnung der Einwohner gehören. Aber offensichtlich nicht, was mir einige Ekellaute bewiesen.
Wir waren auf dem Nachtmarkt in Kuching unterwegs. Angel und Victor zeigten uns gerade allerhand Neues, als mir diese fleischigen Maden auffielen.
„Die muss ich kaufen, Anne.“
„Och ne Hasi, du willst doch nicht wirklich, oder…?“, fragte mich Anne etwas angewidert.
„Oh doch, dieses Mal koste ich sie.“
Ich hatte mir vorgenommen, jeden Tag auf Borneo etwas Neues auszuprobieren, so mein Vorsatz, und da ich diese dicken, saftigen, eiweißreichen Würmer nie zuvor gegessen hatte, beschloss ich kurzerhand mit diesen meinen täglich Soll zu erfüllen.
So kam es, dass wir einen Augenblick später bereits auf der Couch von Victor und Angel saßen und den Teller mit den gebratenen Sago Larven vor uns zu stehen hatten.
Ich nahm die erste Larve beim Kopf und führte sie langsam zu meinem Mund.
„Oh mein Gott, willst du das wirklich essen?“, schrie Angel. Sie verzog dabei angewidert ihr Gesicht.
Auch Victor schaute fragwürdig auf meine Hand mit dem Tier. „Du isst sie wirklich, oder.“, fragte er. „Selbstverständlich Victor.“, antwortete ich. Victor grinste.
Ich konnte es nicht glauben, dass ich in dem Wohnzimmer von einer malaysischen Familie saß und der einzige war, der diese Larven verputzen wollte.
„Ich dachte ihr esst so etwas andauernd.“, sagte ich zu allen. Die beiden Söhne Alistair und Sylvester waren ebenfalls da, so auch die Freundin von Sylvester. Aber auch sie schauten alle etwas missfallend daher.
„Nein, wir haben diese Dinger noch nie gegessen.“, sagte Alistair. „Was? Ihr lebt hier und habt noch niemals diese Würmer probiert.“ Ich konnte es nicht glauben. „Na dann wird es jawohl Zeit.“, sagte ich und schob den Wurm in meinen Mund.
Ich biss zu!
Ich erwartete eine glibberige Masse zu spüren, aber ganz im Gegenteil. Es war fest und geschmackvoll und ich machte einen anerkennenden Gesichtsausdruck, während ich die Larve durchkaute.
Darauf hatten sie alle gewartet, denn Anne, Victor und seine beiden Söhne griffen sofort nach den Maden. „Ah, ich war also euer Vorkoster?“, stellte ich fest. „Ja, genau. Ich wollte bloß dein Gesicht dabei sehen.“, gab Anne zurück und steckte sich ebenfalls einen Wurm in den Mund, und was soll man sagen, sie mochte es.Aber diese Würmer waren nur ein kleiner Teil des Aufenthalts, denn unsere Zeit in Kuching war eine reine Fressorgie.
Denn die gesamte Provinz Sarawak ist sehr durch die Chinesen geprägt, was wiederum die gesamte Küche in diesem Teil Borneos beeinflusst. So fuhren wir jeden Tag zu einem neuen Restaurant, welches Victor und Angel für uns ausgesucht hatten, diese mit den unterschiedlichsten Leckerbissen.
Ob Quallensalat, geschmorte Hühnerfüße oder gedünsteten Farn, wir probierten alles was uns vor die Nase kam.
Wir vermissten jedoch das Essen von ihrem Restaurant, denn es war bereits fünf Tage her, seit sie es zum letzten Mal geöffnet hatten, was für uns wiederum nicht auszudenken war. Wir konnten es wirklich nicht glauben, aber Angel und Victor hatten tatsächlich wegen uns ihr Restaurant geschlossen. Ich kenne niemanden in Deutschland der für uns sein Restaurant auch nur für einen Tag zumachen würde, nur um mit uns etwas Zeit zu verbringen.
Sie genossen die gemeinsame Zeit anscheinend sehr, genau wie wir.
So klingelte des Öfteren ihr Telefon, wobei einige ihrer Gäste nachfragten, warum sie das köstliche Essen nicht bekommen konnten. Verständlich, denn ihr in Kuching berühmtes süß und scharf mariniertes Rindfleisch, der köstliche Lammeintopf oder das in Honig und Sojasoße gebratene Hähnchenbrustfilet, sind ein absoluter Genuss, was viele Leute offensichtlich vermissten.
Der Zeitpunkt unsere Weiterfahrt rückte dann jedoch immer näher. Wir waren eigentlich schon zu lange in Kuching geblieben, aber die Zeit mit Victor und Angel war einfach zu schön gewesen und wir werden diese schöne Zeit unseres Lebens nie wieder vergessen.Die Aufnahmen in Kuching waren von uns abgeschlossen und wir begannen somit unseren nächsten Stop zu planen, denn wir wollten in den Dschungel.
„Nur beim Hauptquartier, da haben sie wohl angeblich nur ein Zimmer, welches man sich mit zwanzig anderen Leuten teilen muss. Ja und auch das kostet schon fast 30,- Euro die Nacht für uns beide.“
„Und unsere ganze Technik liegt dann da den ganzen Tag rum, für jedermann sichtbar, dass geht nicht.“, sagte ich entschlossen.
„Okay…“, sagte Anne entschieden, „…dann haben wir nur eine Möglichkeit, wir hoffen das wir dort ein Zimmer bei einer Familie finden. Victor meint da gäbe es wohl Homestays.“
Homestays nennt man hier Unterkünfte bei Familien, die ein Zimmer für Reisende zu Verfügung stellen. Für uns aber gab es das Problem, dass wir nicht genau wussten, ob es im Mulu Nationalpark, unser nächstes Ziel, solch ein Quartier auch gibt.
Wir mussten es einfach riskieren, sagten wir uns, denn dieser Park sei ein absolutes „Muss“. So wurde es uns mehrfach erzählt.
Der Mulu Nationalpark ist bekannt wegen seines gigantischen Höhlensystems, eines der größten der Welt. Außerdem ist der Park seit dem Jahr 2000 UNESCO Weltnaturerbe und weiterhin der größte Nationalpark von Sarawak.
So etwas konnten wir uns einfach nicht entgehen lassen, und das nicht nur für uns, sondern hauptsächlich natürlich für die Kamera.
Anne hatte uns dann einen Flug gebucht, denn man kommt, außer eben dem Flugzeug, ansonsten nur mit einem Boot nach Mulu. Eine Strasse gibt es nicht.
Und so saßen wir bereits wenige Tage später in einer kleinen Propellermaschine, bereit über den endlosen Dschungel hinwegzuschweben.
Es war mittlerweile schon über eine Stunde, von den insgesamt zwei Stunden Flugzeit, verstrichen und wir hatten immer noch keinen Dschungel gesehen. So weit das Auge reichte, man sah nur Felder und Plantagen.
Wir sahen betrübt aus dem Fenster.
Das war nicht das was wir uns vorgestellt hatten, aber man sah den Fortschritt dieses Landes unaufhörlich voranschreiten.
„Ich frag mich wann unser großes Dschungelabenteuer eigentlich beginnen soll, wenn es gar keinen Regenwald mehr gibt.“, sagte ich betrübt zu Anne.
„Ja, das sieht nicht gut aus von hier oben.“, gab Anne zurück.
Mir war aber auch bewusst, dass es mir nicht zustand über dieses Land zu urteilen. Wir haben doch eigentlich nichts anderes getan mit unseren Wäldern daheim in Europa. Denn auch dort war einmal das gesamte Gebiet mit Wald bedeckt und der Fortschritt forderte auch bei uns seinen Preis.
Der Unterschied ist aber, dass wir den Verlust unserer Wälder nie mitbekommen haben, denn wir alle waren noch nicht geboren.
Hier in Malaysia ist es jedoch anders. Dieses Land gibt es noch nicht sehr lange, ist aber selbstverständlich dennoch dazu verpflichtet seine Bevölkerung zu ernähren. Doch dazu wiederum braucht man Landwirtschaft, und für Landwirtschaft braucht man eben Platz.
Also wen soll man verurteilen?, dachte ich.
Haben wir das Recht die Menschen hier dafür verantwortlich zu machen, dass wir unser lang erspartes Dschungelabenteuer nicht mehr erleben können. Ich wusste es nicht, solange ich auch darüber nachdachte, ich hoffte lediglich, dass die Regierung den Abbau der Wälder kontrollieren würde und uns und den Tieren noch etwas übrig lassen könnte.
Plötzlich verschwanden die Plantagen, auch sah man keine abgeholzten Flächen mehr. Alles was wir aus dem Fenster des Fliegers sahen, war Wald, undurchdringlicher Regenwald.
Soweit das Auge reichte. Unsere Laune wandelte sich sogleich in reine Aufregung. Wir konnten es auf einem Mal nicht mehr erwarten den Flieger zu verlassen, um in das grüne Dickicht einzudringen.
Der Flughafen mit seiner kleinen und einzigen Landebahn war umringt von Wald. Eine Scharr weißer Reiher beobachtete die Passagiere beim Aussteigen, ließ sich jedoch von den circa zwanzig Leuten nicht stören.
Wir holten unser Gepäck vom Laufband, welches ungefähr eineinhalb Meter lang und mit Alurollen versehen war. Eigentlich war es völlig umsonst, dachte ich, musste aber schmunzeln über den Versuch des Flughafens „groß“ zu wirken.
Wir gingen zum Ausgang.
Draußen wartete eine Frau mit ihrem Jeep auf die Passagiere. Sie erhoffte sich jemanden zum Hauptquartier des Parks fahren zu können udn was soll ich sagen, dieser Jemand waren dann wir.
Denn all die anderen wurden von Fahrzeugen des teuren Resorts abgeholt, so schien es jedenfalls.
Wir verluden unser Gepäck und sagten der netten, dicken Frau, dass wir eine Homestay Unterkunft suchen würden und fragten sie, ob sie vielleicht sogar jemanden kenne.
„Ja ja ja, ich habe Betty. Sie Zimmer für Touristen.“, erzählte sie uns mit gebrochenem Englisch.
„Ich nicht weiß aber, ob sie haben frei.“, ergänzte sie dann, als sie gerade dabei war ihren gewaltigen Körper auf den Fahrersitz zu hieven. Das Auto wackelte.
Das war nicht sehr aufbauend zu hören, denn wir machten uns so oder so schon gewaltige Sorgen in einer teuren Bleibe absteigen zu müssen.
„Das sieht nicht gut aus.“, sagte Anne zu mir als wir gerade losfuhren. „Ja stimmt, Annemaus.“
Ich saß auf dem Beifahrersitz und richtete mich sogleich auf die lange Fahrt ein. Ich hatte mich angeschnallt rückte auf dem Sitz in eine bequeme Position und fragte Anne, ob sie mir die Wasserflasche nicht lieber nach vorne reichen könnte. Anne gab mir das Wasser und ich drehte mich gerade zu der netten, dicken Frau um eine Unterhaltung zu beginnen, da bremste die nette, dicke Frau das Auto bereits am Straßenrand. „Wir da jetzt.“, sagte die nette, dicke Frau.
Anne und ich sahen uns an. „Was das war’s schon? Wir sind wirklich da?“, fragten wir verwirrt. „Ja ja ja…da drüben…da Hauptquartier.“, sie tippte mit dem netten, dicken Finger gegen die Frontscheibe, zeigte aber nur auf ein Stück Wald. „Mhh…“, stöhnte ich, „…wo denn? Ich seh da nichts.“
„Ja ja, ihr geht Brücke und dann da.“ „Aha. Okay. Thanks very much.“, sagte ich noch und stiefelte mit dem Gepäck los.
Anne und ich gingen dann „Brücke“ und waren wirklich da.
„Unglaublich.“, sagte ich zu Anne. „Das finde ich schon wieder total cool, wie gemütlich dass hier alles ist. Alles gleich beieinander.“
„Ja, Hauptsache wir finden eine Bleibe. Und außerdem kann ich nicht glauben, dass sie uns gerade ganze drei Euro abkassiert hat für diesen kurzen Weg.“, witzelte Anne zurück und lachte.
Wir irrten etwas in der Umgebung vom Hauptquartier, wo sich so einige Menschen tummelten, umher und gelangten zu Bettys Homestay.
Das Haus gehörte zu einer kleinen Reihe von Häusern, diese standen alle circa zehn Meter vom Melinau Fluss entfernt und waren allesamt auf Stelzen gebaut. Bestimmt wegen der ständigen Überflutungen des Flusses, dachte ich.
Zwei Männer kamen aus dem Haus. Der ältere der beiden begrüßte uns freundlich, sprach dabei aber noch weniger Englisch, als die nette, dicke Frau aus dem Auto. Uns aber erinnerte es bloß daran, dass wir selbst kaum ein einziges Wort Bahasa sprachen, was eigentlich unhöflich ist. So empfanden wir jedenfalls.
Wirklich weitergeholfen hätte es uns wahrscheinlich aber dann doch nicht, dachte ich, denn die Menschen hier gehören zu der Minderheit der Bajau, und diese sprechen wieder einen ganz anderen Dialekt, als der Rest der Malaysier.
Die Bajau gelten als Cowboys des Ostens und verrichten hauptsächlich Viehzucht und Ackerbau, wie wir wussten.
Der alte Mann hieß Joseph, wie er uns sagte, der Jüngere hieß Paul und lebte nur drei Häuser weiter.
Auch wir stellten uns vor und begannen daraufhin beide mit Fragen zu löchern. Ob da noch ein Zimmer wäre, was es kosten würde und ob wir bei ihnen bleiben könnten. Auf jeden Fall könnten wir bleiben, freute sich Joseph. Das Haus sei zurzeit leer, es seien keine anderen Reisenden da, wie er uns erklärte.
Josephs Frau Lanan kam dann dazu. Sie schien sehr freundlich. Auch sie gehörte den Bajau an, so sagte uns Joseph, sprach jedoch genauso gut Englisch, wie wir Bahasa. Also rein gar nicht.
Der Nachbar Paul ging zurück zu seinem Haus, sagte uns aber noch, dass er einen freischaffenden Führer kennt, der uns bestimmt zu den Höhlen bringen könnte. Das hörte sich gut an, denn genau da wollten wir in den nächsten Tagen so oder so noch hin.
Vorerst aber mussten wir klären, wie es mit dem Essen steht. Wir fragten Joseph, ob wir hier bei ihm und Lanan die Mahlzeiten bekommen könnten. Er winkte mit seiner Hand, indem er dabei eine verneinende Geste machte „Oh nein, tut mir leid, nicht möglich zurzeit. Betty nicht da.“, sagte er. „Aha, okay.“, sagte Anne.
Betty war die Tochter der beiden und eigentliche Betreiberin dieses Homestays und deshalb war es im Augenblick nicht möglich hier zu essen.
„Und Essen hier, nicht gut!“, sagte Joseph unerwartet, wobei er mit seinem Kopf seitwärts zu seiner Frau hinnickte.
Wir mussten lachen. „Oh, armer Joseph.“, bemitleidete Anne ihn grinsend, wobei sie ihm auf die Schulter klopfte.
Lanan bekam jedoch von der ganzen Unterhaltung nichts mit.
„Oh, okay wir essen dann woanders.“, sagte ich beschwichtigend und schüttelte Joseph erneut die Hand.
Wir zogen in das Stelzenhaus, denn diese atemberaubende Landschaft, welche das Haus umgab und dazu noch diese freundlichen Menschen, dass waren genau dass, was wir uns vorgestellt hatten. Und über den Preis freuten wir uns noch dazu. Wir zahlten nämlich nur einen Bruchteil von dem, was wir hätten im Resort zahlen müssen.
Da nahmen wir dann auch in Kauf, dass wir nur drei Stunden pro Tag Strom zur Verfügung hätten.
Als Lanan und Joseph uns dann anboten ihre Hochzeitskleidung anzuprobieren meldete sich Antony sofort zur Hilfe. Lisa und Franzisca, beides Töchter von Lanan und Joseph und somit Bettys Schwestern, halfen Anne.
Wir fühlten uns geehrt, als wir dann etwas später in voller Pracht vor ihnen standen. Lanan begann uns ihren Hochzeitstanz vorzuführen und alle konnten spüren, wie sehr sie diese Erinnerung liebte.
Joseph wiederum führte uns seinen eigenen Tanz vor, wobei ich nicht wirklich sagen kann, ob es sich dabei um einen feierlichen Tanz oder gar um einen Kriegstanz handelte. Aber was auch immer es war, es sah beeindrucken aus.Es war unser letzter Abend bei der Familie und das Gefühl des Abschieds lag in der Luft. Lanan hatte Angst wir würden sie vergessen, erzählte uns Franzisca, was wir vehement verneinten. Diese fünf Tage hier im Dschungel werden für uns unvergesslich bleiben und zu diesen gehört nun einmal auch eure Familie, sagte Anne zu allen, was wiederum von Lisa sofort übersetzt wurde, damit auch Lanan und Joseph es verstehen konnten.
Es ist wirklich eine fantastische Zeit gewesen, denn einmal abgesehen von der gastfreundlichen Art dieser Menschen beinhaltet der Mulu Nationalpark eine Unmenge an Naturschauspielen.
Er ist nicht nur berühmt für seine Kalkstein Formationen und die unzähligen Tier- und Insektenarten. Er ist berühmt für sein enormes Höhlensystem. Denn dieses gilt als eines der größten der Welt.
Die „Deer Cave“ zum Beispiel verfügt mit einer Breite von 150 m und einer Höhe von 120m über den größten Höhleneingang der Welt, die „Clearwater Cave“ verfügt mit ihren 106 km über das längste unterirdische Wassersystem Südostasiens und die Sarawak-Kammer gilt als der weltweit größte unterirdische Raum. Mit ihren 700 Meter Länge, 400 Meter Breite und mindestens 70 Meter Höhe ist sie dreimal größer als der größte bisher bekannte unterirdische Raum, „the big room“ in New Mexico. Man sagt es könnten acht Jumbo Jets in der Sarawak Kammer platziert werden.Auch wir besuchten diese Höhlen wobei wir auf eine Sache ganz besonderes aus gewesen sind.
Wir hatten uns zu Beginn der Reise verschiedene Ziele gesetzt. Zum Einen wollte ich jeden Tag etwas Neues zu Essen probieren, was hier in Malaysia wirklich nicht allzu schwierig ist, denn die Küche ist ein Mix aus China, Indien und Malaysia und lässt die asiatische Küche in einem völlig neuen Licht erstrahlen.
Dann waren wir auf der Suche nach den Nasenaffen, welche sich ausschließlich auf Borneo befinden und zum Anderen waren wir sehr erpicht darauf, einmal ein Vogelnest zu essen.
Es handelt sich dabei um die Nester einer Schwalbe, welche zu einer Suppe verarbeitet werden. Sie bestehen hauptsächlich aus eiweißreichem, zähem Speichel, der eine hell durchscheinende und gelatinöse Masse bildet. Diese Nester sind sehr teuer aber ihren Wert verdanken sie weniger ihrem Geschmack als ihrer aufwändigen Zubereitung. Dazu kommt ihre in der traditionellen chinesischen Medizin nachgesagte kräftige medizinische Wirkung.Die Nasenaffen gibt es nicht im Mulu Nationalpark. Wir hatten jedoch gehofft hier wenigstens eine dieser Schwalbennestersuppen erwerben zu können, wurden allerdings enttäuscht. Unser Guide John, wir hatten ihn für zwei Tage gebucht da man ohne Guide die Höhlen im Park nicht betreten darf, erklärte uns, dass es diese Schwalbenart im Park zwar gibt, diese jedoch so hoch in den Höhlen nisten, das eine Ernte der Nester unmöglich sei.
Alleine die Tatsache dass dieses Höhlensystem zu hoch sei machte mich ungemein neugierig und ich konnte es nicht erwarten eine dieser Caves zu erkunden. Und es war atemberaubend!
Im wahrsten Sinne des Wortes, denn der Gestank der Exkremente der millionen Fledermäuse machte jeden Höhlengang zu einem ganz besonderen Erlebnis. Siebenundzwanzig verschiedene Fledermausarten haben sich in den Höhlen niedergelassen und es ist ein fantastisches Bild, wenn millionen dieser zum Abend die Höhlen verlassen. Sie fliegen dabei in Korkenzieher Formation als Schutz vor den zahlreichen Greifvögeln.Aber so schön der Regenwald und seine Höhlen auch sind, der Nationalpark ist eine enorme Geldmaschine und diese arbeitet unaufhörlich.
Man zahlt für alles einen kleinen Preis obendrauf. Da ist nicht nur die Parkregistrierung mit einem Preis für den man im Normalfall schon einige Tage in einem Hotel verbringen könnte, sondern jeder Wanderweg, die Höhlen und selbstverständlich die Fremdenführer die extra kosten.
So kommt es schnell zu einer finanziellen Herausforderung, besonders für Rucksackreisende wie wir es sind.
Deshalb waren wir froh Josephs Familie gefunden und sogar nach einigen Tagen ein vertrautes Verhältnis aufgebaut zu haben. Es lag, wie sie uns erzählten, wohl daran, dass Anne und ich einfach länger in ihrem Haus lebten als andere Touristen. Diese blieben für gewöhnlich nur zwei Nächte und arbeiteten an den Tagen systematisch alle Sehenswürdigkeiten des Nationalparks ab. Danach verschwanden sie für immer und die nächsten Besucher kamen.
Wir stellten somit eine kleine Ausnahme dar, wie uns Franzisca Josephs Aussage übersetzte. Wir fühlten uns geehrt, aber die Tatsache bald wieder im Flieger zu sitzen und zurück in die Zivilisation zu gelangen zog das Gefühl, jemand Besonderes zu sein, ins Lächerliche.
Wir mit unserer Auslandskrankenversicherung, Medizinbeutel, Bankkarten und unserem Survivalguide „Wie überlebe ich im Dschungel“ konnten nicht einmal ansatzweise nachvollziehen, wie ein Leben fernab von jeglichem Luxus und seinen Sicherheiten zu leben sei.Nach unserer Hochzeits-Modenschau und der dazugehörenden Fotosession saßen wir gemeinsam in der Küche und aßen den Fisch, welchen wir zuvor vom Boot aus gefangen hatten. Eigentlich haben ihn Antony und Chok gefangen und Anne und ich haben eigentlich das ganze Spektakel nur mit den Kameras festgehalten, aber deshalb schmeckte der Fisch nicht weniger gut. Joseph und seine Frau Lanan lebten bereits hier, erzählte uns Franzisca, als es noch keine Straßen oder geschweige denn eine Landebahn für Flugzeuge gab. Sie versorgten sich ausschließlich vom Dschungel.
Heute sei alles anders, sagte sie weiter. Der Tourismus wächst und es wird viel gebaut. Man gelange jedoch leichter zur nächst größeren Stadt, Miri, und so könnten sie des Öfteren wichtige Lebensmittel und andere brauchbare Sachen besorgen. Joseph sei allerding nicht daran interessiert, den langen Weg auf sich zu nehmen.
Er würde jedoch gerne noch einmal ein Shoppingcenter in seinem Leben sehen, sagte Franzisca.
Es ist schon eigenartig mit uns Menschen, dachte ich, wir träumen von Dingen die für uns teilweise unerreichbar sind. Wir von dem Abenteuer und der Abgeschiedenheit in der Wildnis und Menschen wie Joseph von einem kleinen Stück Westlicher Welt, einem Shoppingcenter. Er wünschte sich, ihn würde ein Flugzeug direkt dorthin mitnehmen, ohne Umweg, übersetzte Franzisca.
Seine Familie schmunzelte darüber und man spürte deutlich, dass die Flugzeuggeschichte nicht zum ersten Mal am Esstisch erzählt wurde.
Ich betrachtete ihn gerührt, denn es tat mir leid, da dieser kleine Wunsch für ihn wohl niemals in Erfüllung gehen würde.
Wir waren gerade in Sandakan angekommen und froh die lange Strecke von Mulu endlich hinter uns gelassen zu haben. Sandakan ist die drittgrößte Stadt des Bundesstaats Sabah. Sie liegt im Nordosten von Borneo und sollte für uns der Ausgangspunkt werden, um in den Dschungel zu gelangen und vielleicht die Nasenaffen in freier Wildbahn zu finden.
Doch vorerst mieteten wir uns in einem günstigen Hotel ein, um noch einige Klamotten zu waschen und um sämtliche Akkus für die Kameras wieder aufzuladen. Außerdem wollten wir die Stadt etwas kennenlernen und schlenderten somit gelassen durch die überschaubaren Geschäftsstraßen von Sandakan.
Aber um ehrlich zu sein war es kein Schlendern, es war ein Schaulauf. Überall wo wir entlangkamen wurde ich mit freundlich Blicken bestaunt, ja regelrecht angegafft. Es war unglaublich. Nicht Anne, sondern mich starrten junge „Girls“ an, als sei ich ein Superstar. Ist das im anderen Teil Malaysias auch so gewesen? Es gab nicht viele Touristen in Sandakan und vielleicht fiel man deshalb den Menschen einfach schneller ins Auge. Aber was auch immer der Grund für meine Auffälligkeit gewesen ist, ich genoss es.
Auch Anne bemerkte es und meinte es läge an meinen blonden Haaren und ich sollte mal wieder runter kommen von meinem Ross, denn nach einer Weile marschierte ich durch das Zentrum von Sandakan, als hätte man mir einen roten Teppich ausgerollt. Aber ich dachte gar nicht daran dieses Hochgefühl sausen zu lassen; „Nein!“ Ganz im Gegenteil. Ich wollte jeden Augenblick auskosten, als wäre es der letzte in meinem Leben. So nickte ich zurück, dazu ein scharmantes Lächeln geschmückt mit einem unwiderstehlichen Augenzwinkern.
Ich gab einfach alles. „Hallo.“, „Hi.“, „Hallo, na wie geht’s?“, „Oh, was ein schickes Kopftuch!“. Dann sah ich Anne aus dem Augenwinkel, wie sie sich mit einer Hand die Augen bedeckte und ihren Kopf schüttelte. Ich hatte gerade auf ein Mädel meinen Zeigefinger gerichtet, mit dem linken Auge gezwinkert und sie zusätzlich mit einem Schnalzlaut begrüßt. Anne war angenervt von meinem Getue, aber ich denke, sie konnte nicht verstehen was hier passierte und dabei müsste gerade Annemaus wissen wie es ist angeschaut zu werden.
Denn an anderen Orten war es immer umgekehrt mit uns. Anne wurde wegen ihres guten Aussehens beäugt und mich hat man gewöhnlich gemustert. Ab und zu konnte ich sogar fragende Blicke erkennen, wenn der Betrachter seinen Blick von Anne auf mich richtete und überlegte, was „sie“ im Leben wohl verzapft hat und deshalb nun mit jemandem wie „mir“ zusammen ist.
Aber dieses Mal war es anders. Und es lag nicht nur an meinen blonden Haaren, dachte ich. Wir waren jetzt nämlich im orthodox-islamischen Teil Malaysias mit großem Einfluss aus Indien und offensichtlich galten dünne Menschen hier als arm und da ich meine Muskeln unter einer guten Portion Speck vergraben habe, bekam ich also doppelt so viel Aufmerksamkeit.
Blond und dick, ist gleich, wunderschön und reich.
Ich hatte gewonnen!
Somit beschloss ich meinen Scharm für die Länge unseres Aufenthalts in Sandakan spielen zu lassen und wanderte schließlich drei Tage die Straßen auf und ab. Erst ins Restaurant, essen, danach etwas laufen, zwinkern, nicken, schnalzen und dann wieder ins Restaurant. Ich nahm tatsächlich fünf Mahlzeiten am Tag zu mir und Anne war gezwungen neue Berechnungen mit unserem, geplanten Budget anzustellen. Am Ende schnalzte ich sogar während des Essens, denn die vielen Kellnerinnen in unserem Lieblingsrestaurant hörten gar nicht mehr auf zu kichern, sobald ich sie ansah.
Im Endeffekt „erlaubte“ Annemaus mir diese Tage und „bewilligte“ mir meinen kurzen Stolz. Aber ich sah diese Gewissheit in ihren Augen und man konnte ihre Gedanken buchstäblich greifen; „Du kleiner Spinner, sobald wir hier weg sind ist es mit deinem Grinsen vorbei, ha, und die Leute werden sich wieder viele Fragen stellen!“
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